2020
Ein Rückblick
Es ist kurz vor 7 Uhr morgens und ich laufe durch die Sandstraße in Richtung Untere Brücke. Ich habe weder ein flaues Gefühl im Magen, noch einen erhöhten Puls oder sonst irgendein Anzeichen von Aufregung. Im Gegenteil. Ich bin völlig ruhig. Ich werfe einen Blick auf die geschlossenen Bars, Kneipen, Restaurants und Clubs und muss an all die durchzechten Nächte denken. Es waren um Welten nicht so viele wie ich sie in Berlin erlebt hatte, aber trotzdem wunderschöne und – nach heutigem Stand – lebensverändernde. Am Ende der Straße sehe ich das ehemalige Dominikanerkloster, in dem sich inzwischen die Aula der Universität befindet. Dort im schlichten, weißen ehemaligen Kirchenschiff werde ich meine letzte Examensklausur schreiben und damit mein Studium beenden. Zehn Jahre habe ich studiert. Dass ich dieses Studium eines Tages beenden würde, hatte ich nicht mehr so recht geglaubt.
Die letzten Monate sind hart gewesen. Als ob der Winter in Verbindung mit den Corona-Schutzmaßnahmen nicht schon fordernd genug gewesen wäre für die Psyche. Nein, auch meine Partnerin steht im Begriff ihr Referendariat zu beenden und ihre erste Prüfung fällt mit meiner letzten auf den selben Tag. Als wäre das immer noch nicht genug, hatte sich meine Partnerin kurz vor Weihnachten einen komplizierten dreifachen Beinbruch zugezogen und muss immer noch auf Krücken laufen. Die letzten Monate wurden damit zu einem gewagten Kraftakt, bei dem ich versucht habe, am besten beim Kochen zu lernen, parallel Wäsche aufzuhängen und mir ernsthaft überlegt habe, ob ich mir vielleicht irgendwie den Staubsauger um den Bauch binden kann, damit die Wohnung endlich mal wieder gesaugt wird.
Ja, das war schon krass und vermutlich werde ich mich irgendwann fragen, wie um alles in der Welt es möglich gewesen ist, das zu überleben. Das frage ich mich gerne auch nach Rennen, wenn ich nach ein paar Tagen, Wochen, Monaten zurückblicke und mich frage, wie zur Hölle habe ich das geschafft? Und warum um alles in der Welt tu ich mir das an?
Die Antwort für Rennen ist klar, weil das Gefühl im Ziel großartig ist und das Wissen, es geschafft zu haben, überwältigend. Im Moment bin ich einfach sehr glücklich, dass die Prüfungen rum sind und mit ihnen die Zeit des Lernens. So richtig realisiert habe ich das allerdings noch nicht, vermutlich muss das einfach noch ein bisschen sacken.